Ich habe eine Verabredung mit Daniel am Stall: 19 Uhr, nach dem Melken. Ich bin eingeladen, zum Weidegang unseres Milchviehs. Aber bevor die Kühe starten, muss erst noch der Treibweg eingerichtet werden. Das bedeutet für Daniel: eine Vorrunde auf dem Transportrad, an bestimmten Stellen ein paar Elektrozäune öffnen und zwei Wegverzweigungen hinter dem Nachbarhof absperren. Ich postiere mich an die erste und warte. Und dann kommen sie.  Vorneweg .. nein, nicht Daniel, sondern die schwarzgefleckte Esther. Esther ist eine Schönheit, aber sonst eher etwas schüchtern. Jetzt ist sie die Schrittmacherin. Hinter ihr folgen die anderen, in einer Reihe.  Fast so wie bei einem Güterzug, der langsam aber unaufhaltsam vorbeirollt. Esther zögert nur kurz an meiner Warteposition.  Dort geht es auf den Wirtschaftsweg. Aber dann nimmt sie die richtige Richtung, und der Zug rollt an mir vorbei. Am Ende erscheint Daniel. Er ist etwas abgehängt und damit beschäftigt, eine schwarzgefleckte Trödelliese zu ermuntern, den Anschluß zu halten. 

Aber dann kommt eine echte Herausforderung für die Kolonne: ein scharfer Links- und Rechtsknick des Weges. Hier wäre – sagen wir mal – ein chinesischer Dämon gnadenlos gescheitert, denn chinesische Geister können ja – so heißt es jedenfalls – keine rechten Winkel überwinden. Nicht so unser Milchvieh. Vorn bleibt Esther unbeirrt in der Spur, und hinten hält Daniel den Druck aufrecht.  So geht es ohne größere Verwirbelungen weiter voran.  Das Erfolgsgeheimnis beim Viehtrieb: die sorgfältige Vorbereitung des Weges durch Elektrolitzen und entsprechende Absperrungen. Die Kühe wissen dann genau, wo sie gehen müssen.  Sie haben den „Litzenblick“. Da braucht es keinen Fremdenführer mit Regenschirm und Megaphon vorneweg, hinter dem dann alle hertrotten. Die Stoffetzen auf den Absperrungen, verrät mir Daniel, sind lediglich für die Radfahrer gedacht, also für „Litzenblinde“.

Und so erreichen wir schließlich den Ort, wo es geradeaus endgültig nicht mehr weiter geht und sich links die letzte Lücke auftut. Dahinter öffnet sich eine große Weidefläche, mit einem mächtig ausladenden Schattenbaum, einer wellblechüberdachten Strohraufe und einem vollen Trinkwassertank. Saftiges Gras überall. Und viel Platz.- Willkommen im Paradies! Eine Braungefleckte macht vor Freude ein paar Bocksprünge. Das drückt die allgemeine Stimmung aus. Es tut einfach gut zu sehen, wie wohl sich die Tiere in dieser Umgebung fühlen. Artgerechter geht’s nicht. 

Die Kühe bleiben übernacht auf der Weide, und am anderen Morgen holt Daniel sie wieder zurück, zur ersten Melkzeit. So geht es weiter, in turnusmäßigem Wechsel zwischen Weide und Melkanlage. Ein Weg dauert 20-30 Minuten. Und wie ich am anderen Morgen feststellen kann: jeder Weidegang verläuft  unterschiedlich. Die Kühe sind einfach immer etwas anders drauf. Sie probieren dann auch schon mal ein paar leckere Hälmchen zwischendurch am Wegesrand. Und Esther ist auch nicht immer die Erste. Nur das mit der Trödelliese am Schluß, das scheint eine Standardnummer zu sein. Aber trotzdem .. es klappt. Das Paradies am Ende des Weges erweist sich als unwiderstehliche Verlockung.

Im Gespräch mit Daniel erfahre ich dann: diese Wiese hat der Markushof bereits seit gut 2 Jahren gepachtet. Sie diente bislang zur Mahd und als Rinderweide. Ihre Nutzung für den Weidegang unseres Milchviehs ist ganz neu. Die bisherige Weidefläche direkt hinter dem Stall kann sich inzwischen regenerieren und zur Mahd benutzt werden. Effizientes Weidemanagement. Die gegenwärtige Flächensituation macht’s möglich. Aber die ist nicht von selbst entstanden.

Ein kleiner Rückblick:  Es begann vor gut 4 Jahren.  Damals war das vordringliche Ziel zunächst der Aufbau einer eigenen Futtermittelversorgung, Grünfutter eingeschlossen. Nach und nach wurden dann geeignete Weideflächen dazu gepachtet, auf denen das Jungvieh den Sommer verbringen konnte, getrennt nach männlichen und weiblichen Tieren. Dabei spielten neben der Eignung als Weide auch logistische Überlegungen eine Rolle: u.a. die Entfernung zum Hof, sowohl wegen des Viehtriebs als auch wegen der Versorgung mit Trinkwasser und Zusatzfutter. Bei den neueren Weidebelegungen gab es dann allerdings kaum noch Auswahlmöglichkeiten.

Aber auf diese Weise ist im Laufe der Zeit eine Flächenkombination zusammen gekommen, mit der sich arbeiten lässt. Und das haben wir unseren Landwirt*innen  zu verdanken.  Sie haben das Ziel, den Ausbau der Weidehaltung, nie aus den Augen verloren und Gelegenheiten, die sich boten wahrgenommen, obwohl zwischendurch auch immer mal wieder von einer völligen Aufgabe der Milchproduktion auf dem Markushof die Rede war und unsere Aufmerksamkeit – und Nerven – von anderen Dingen in Anspruch genommen wurden. 

In diesem Sinne war für mich der neue Weidegang unseres Milchviehs auch ein Augenöffner. Das Konzept einer durchgehenden Weidehaltung für unser Vieh ist inzwischen greifbare Wirklichkeit geworden.  Damit erfüllen wir nicht nur die Vorgaben unseres Fachverbandes (Bioland: „Rindern ist grundsätzlich Weidegang zu gewähren“).  Es geht auch nicht nur um die optimale Qualität von Milch und Fleisch für die Verbraucher*innen sondern zugleich auch um das Wohlergehen der Tiere im Rahmen einer artgerechten Haltung. Und das wärmt einem das Herz, auch wenn man selber vielleicht nicht mehr in der Lage ist, Bocksprünge zu machen wie unser Fleckvieh bei der Ankunft auf der neuen Weide. 

                                                                                                                     PK